Nachträge wegen geänderter oder zusätzlicher Leistungen nach der VOB/B – Entfall des Korbionschen Grundsatzes

Zwei Oberlandesgerichte haben die bisher geübte Praxis nach Ingenstau/Korbion in Bezug auf die Ermittlung des neuen Preises für geänderte und zusätzliche Leistungen aufgegeben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in seiner Entscheidung vom 19.12.2019 ibr 2020 Seite 334 entschieden, dass bei geänderten Leistungen im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung die tatsächlich erforderlichen Kosten zzgl. angemessener Zuschläge maßgeblich sind. Die korbionsche Preisformel ist damit ad acta gelegt. Die Zuschläge bleiben erhalten. Alles andere richtet sich nach den tatsächlich erforderlichen Kosten, die der Auftragnehmer nachweisen muss. Das OLG Brandenburg hat in seiner Entscheidung vom 22.04.2020 ibr 2020 Seite 335 diesen Grundsatz auch für die zusätzlichen Leistungen nach § 2 Ziffer 6 VOB/B anerkannt. Entscheidend seien die tatsächlich erforderlichen Kosten, da das Äquivalenzprinzip gelten solle. Die Regelungen in § 2 Abs. 3 VOB/B,  § 2 Abs. 5 VOB/B, § 2 Abs 6  Nr. 2 VOB/B seien sehr ähnlich. Auch  § 2 Abs. 6 Nr. 2 VOB/B bringe das Äquivalenzprinzip zum Ausdruck. Die Parteien sollen keine Besser- oder Schlechterstellung durch die unvorhergesehenen Veränderungen erfahren. 

Natürlich stellt sich bei diesen beiden Urteilen die Frage, ob damit das Prinzip der Kalkulation des Anbieters auf den Kopf gestellt ist. Wird damit nicht die Kalkulation des Bieters, die von bestimmten Annahmen und Risiken ausgegangen ist, auf den Kopf gestellt? Ein Bauvertrag nach der VOB/B beinhaltet gegenseitige Risiken. Dieses Synallagmaverhältnis besagt, dass die von ihr selbst gewählten Risiken bei jeder Partei verbleiben. Mit der o. g. Rechtsprechung jedoch wird das Risiko der Fehlkalkulation, das der beauftragte Bieter trägt, aufgehoben. Ist dies wirklich der gewollte Sinn und Zweck der Regelungen in § 2 Ziffer 3, 5 und 6 VOB/B? 

Für den Unterzeichner erschließen sich die Begründungen der beiden Gerichte nicht. Natürlich soll auf der einen Seite das Äquivalenzprinzip gelten, aber auf einer Basis, dass sich die Positionen der beiden Parteien nicht verbessern aber auch nicht verschlechtern. Wenn dies  das Grundprinzip ist, kann es nicht sein, dass der ehemalige Bieter der Risikoträgerschaft seiner Kalkulation enthoben wird und damit insoweit risikolos gestellt wird. Dies ist zumindest eine Konsequenz der Überlegungen sowohl des OLG Düsseldorf, des OLG Brandenburg als aber auch teilweise des BGH. Der Unterzeichner fragt sich, ob nicht die von ihm angestellten Überlegungen ebenfalls zu berücksichtigen sind, wie durch die genannten Gerichte, beiseitegeschoben werden können. Auch die Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die ergänzende Vertragsauslegung orientiert sich an den beiderseitigen Interessen und an den beiderseitigen vertraglich eingenommenen Vertragspositionen. Dies sind Vertragspositionen mit Risikoträgerschaften. Die Entscheidung entfernen sich jedoch von dieser Betrachtung, so dass, nach Auffassung des Unterzeichners, auch eine ergänzende Vertragsauslegung nicht zu dem Ergebnis führt, das die Gerichte angenommen haben. Die ergänzende Vertragsregelung darf nicht dazu führen, dass Risikoträgerschaften beseitigt werden, die bewusst vertraglich eingegangen worden sind. 

Essen 07.08.2020

Prof. Dr. Grieger