Wann setzt die Aufklärungspflicht des Gerichtes ein?

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 15.07.2020 V ZB 138/19 ein zu diesem Thema sehr wichtiges Urteil gefällt.

Liegt ein erkennbar unklarer und ergänzungsbedürftiger Schriftsatz vor, dessen Aufklärung geboten ist, hat das Gericht den Vortragenden zu diesen Sachverhalten anzuhören. Erfolgt dies nicht, gewährt das Gericht nicht den wirkungsvollen Rechtsschutz nach Artikel 2 Abs. 1 GG in  Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. Bundesverfassungsgericht E 77, 275. 

Es ist somit für eine Rechtsmittelschrift, die sich auf § 139 Abs. 1 ZOP berufen will, entscheidend:

  1. Welche Unklarheiten waren erkennbar.
  2. Welche Sachverhalte waren erkennbar Ergänzungsbedürfnis. 
  3. Wären diese Ergänzungen notwendig gewesen.
  4. Was wäre vorgetragen worden, wenn die Ergänzungen erfolgt wären.

Es liegt ein Verstoß gegen § 139 Abs. 1 ZPO vor, wenn erkennbare Unklarheiten und ergänzungsbedürftige Sachverhalt geschildert werden, die entsprechenden Ergänzungen not-wendig machen.

Es mag sein, dass für den einen oder anderen dieser Beschluss des Bundesgerichtshofes überflüssig erscheint. Allerdings spielt er immer wieder eine große Rolle, wenn Fristen versäumt werden. Hierzu gehört dann nicht nur der Vortrag in Bezug auf den Sachverhalt, sondern natürlich auch der Vortrag, was geschehen wäre und was vorgetragen worden wäre, wenn das Gericht auf die Notwendigkeit des ergänzenden Vortrages hingewiesen hätte.

Essen 30.12.2020

Prof. Dr. Grieger